Kapitel 2: Die Zukunft in unseren Köpfen

Das Nachspiel fand im Geräteraum statt. Dort hatten die Sängerinnen und Sänger der frisch gegründeten Young Chorporation eine Sekt- und Cocktailbar aufgebaut, um ihren Premierenauftritt bei der Winterfeier des Gesangvereins Liederkranz im Januar 1995 zu feiern. Plötzlich kamen zwei Jungs mit einem verwegenen Vorschlag vorbei. Sie hätten da ein Musical geschrieben, erzählten die beiden. Eine Band bestehe bereits, was sie suchten, sei ein Chor, der mitmachen wolle, und da ihnen unser Auftritt so gut gefallen habe, dächten sie in dieser Sache an uns. Die Jungs hießen Götz Schwarzkopf und Sebastian Link. Ihr Erscheinen markierte den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen der Young Chorporation und jener Band, die damals Profil hieß, später Heimer’s Welt und nun als Hölders Welt an einem ganz neuen, ganz großen Projekt arbeiten.

1995 aber, in der Vorbereitung des Nachkriegsmusicals „45“, waren die Sängerinnen und Sänger der Young Chorporation häufig an der Grenze des Machbaren – und manchmal auch darüber hinaus. Es war jedoch unbeschreiblich schön, zu sehen, wie nach und nach alles  zusammenwuchs: Bläserensemble, Kinderchor, Musiker, Schauspieler, Sängerinnen und Sänger. „45“ war ein Generationenprojekt: der Versuch der Jungen, das nachzufühlen, was die Alten erlebt hatten.

Das Musical spielte im Mai 1945. „Kriegsende, Anfang des Friedens?“, hieß es im Programmheft zur Premiere, die am 16. Dezember 1995 in der Kirchheimer Gemeindehalle stattfand. „Fetzige Popmusik, stimmungsvolle Balladen, eingängige Songs, gemischt mit Zitaten aus den vierziger und fünfziger Jahren, mit Volksliedern sowie dem gospelartig interpretierten ,Dies irae' führten samt der stilvollen Ausstattung abwechslungsreich durch diesen kleinen Kosmos voller Trauer und Zuversicht“, schrieb die Stuttgarter Zeitung in ihrer Premierenkritik, die den Titel „Die Zukunft in unseren Köpfen“ trug. „Standing Ovations und manche Gänsehaut der Begeisterung oder der Erinnerung begleiteten die Uraufführung. Kaum eine Auseinandersetzung mit dem Kriegsende auf kommunaler Ebene im Jahre 50 danach hatte solch ein Format, im eigentlichen und im übertragen Sinn“, urteilte die Heilbronner Stimme gar und befand: „Die Inszenierung geht einfühlsam und versöhnlich mit der Sehnsucht nach Zukunft und nach heiler Welt um.“

„Wenn ich jetzt diese Zeit Revue passieren lasse, mag vieles verklärt, vielleicht auch langatmig erscheinen. Doch ich weiß, dass ich ein solches Gemeinschaftswerk und das daraus resultierende Zusammengehörigkeitsgefühl bis dahin noch nie erlebt hatte“, schrieb der Chronist Holger Gayer anno 2002 in der Chronik zum 150-jährigen Bestehen des Gesangvereins Liederkranz. Und: „Es waren so unglaublich viele Stunden, die wir mit dem Projekt verbracht haben, und so unglaublich viele Menschen, die daran beteiligt waren. Mit Sicherheit war ,45’ das größte Projekt, das die Young Chorporation bisher realisiert hat, wahrscheinlich war es sogar das größte, das der gesamte Liederkranz in seiner 150-jährigen Geschichte erlebte. Insgesamt waren fast 6000 Menschen als Zuschauer in elf Vorstellungen. Fünf Auftritte absolvierten wir 1995 alleine in Kirchheim. Am 29. Februar und 1. März 1996 folgten im Kronenzentrum in Bietigheim-Bissingen weitere drei Aufführungen. Ein Jahr später, am 22. und 23. März 1997, spielten wir zweimal im Bürgerzentrum von Brackenheim, ehe wir am 13. Dezember 1997 den Höhe- und Schlusspunkt setzten: Vor gut 1000 Zuschauern im ausverkauften Forum am Schlosspark in Ludwigsburg transportierten wir uns noch einmal zurück in die Zeit um 1945 – und in einen kollektiven Glücksrausch.“

Wenn die Young Chorporation am 11. und 12. Mai 2019 mit ihrem Jubiläumsprogramm „Es war einmal – das Märchen der Young Chorporation“ in der Kirchheimer Gemeindehalle auftritt, werden die 40 Sängerinnen und Sänger nicht nur drei Lieder aus „45“ dabei haben –  „Krieg“, „Bella“ und „1,2,3 – warum?“–, sondern unter anderem für „1,2,3 – warum?“ auch den Kinderchor des Vereins. Eintrittskarten zum Preis von 12 Euro (8 Euro für Schüler und Studenten) gibt es im Dorfladen im Kirchheimer Ortszentrum, in der Obsthalle an der B27 zwischen Lauffen und Kirchheim sowie im Eine-Welt-Laden in Lauffen.